Die Liedarchäologen

Zeitreisen durch die Geschichte

Wiegenlied einer polnischen Mutter

 

Schlaf ein, du weißt ja nicht, o Herz, warum du weinst;
Schlaf ein, ich will den wahren Schmerz dich lehren einst.

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Schlaf ein, o Herz, was kümmert dich der Feinde Sieg?
Dein Vater fiel für dich und mich im Heldenkrieg.

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Dich wird erziehn dereinst der Zar zur Sklaverei:
Doch als ich dich, o Kind, gebar, war Polen frei.

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O weh des Fluchs, der, teures Land, dich jetzt ergreift!
Es wird bereits durch Polenhand die Stadt geschleift.

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Mit Schaufeln naht dem Wall sich schon der Männer Gang;
Sie murmeln sacht, mit halbem Ton den Rachgesang.

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O großer Gott, mißhöre nicht den leisen Chor,
Und rufe laut vor dein Gericht den Würger vor!

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Es zehre Krieg und Pestilenz anseinem Reich,
Ihm scheine freudenlos der Lenz, die Rose bleich!

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Was wir begehrten, war ja nur, was uns gehört,
Was jener Mann sogar beschwur, der uns zerstört.

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Gott gab, so rühmt er, ihm das Reich, das kühn er lenkt;
Oh, hätte Gott ihm auch zugleich ein Herz geschenkt!

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Und du, o Säugling, atme leis im Schoß der Schmach,
Ahm aber einst im Männerkreis dem Vater nach!

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Du werdest noch der Stolz der Fraun, des Landes Zier,
Um einst die Tatzen abzuhaun dem Tigertier!

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Schlaf ein, du weißt ja nicht, o Herz, warum du weinst;
Schlaf ein, ich will den wahren Schmerz dich lehren einst!